Hypnotherapie 2

(von Ralf Savelsberg)

In der hypnotherapeutischen Fachwelt werden unter „Hypnose“ alle Kommunikations- und Interaktionsprozesse verstanden, die rituell eingesetzt werden, um bestimmte Erlebnis- und Bewusstseinszustände anzuregen, die allgemein als Trance – Zustände bezeichnet werden.

Trance – Phänomene werden in unserer Kultur üblicherweise beschrieben als Zustände tiefer Entspannung und nach innen gerichteter Aufmerksamkeit.
In diesem Verständnis ist die nach außen bezogene Aufmerksamkeit und Alltagswirklichkeit ausgeschaltet.
Mit geschlossenen Augen ist der Klient abwesend von der äußeren Realität. Um die Trance auszuleiten braucht es eine Reorientierungsphase im Sinne eines Umschaltprozesses auf Wachbewusstsein und Wahrnehmung der Alltagswirklichkeit.

Anthropologische und ethnologische Studien zeigen, dass seit mindestens 10 000 Jahren in allen Kulturen Trance – Phänomene im Kontext von Heilungsritualen und religiösen Zeremonien genutzt wurden.
Trance – Rituale dienten einem Ziel und hatten von daher sehr unterschiedliche Gestaltungsformen.
Im Zeitalter der Jäger- und Sammler- Kulturen ging es weniger um Entspannungszustände.
Vielmehr wurden Formen der dynamischen Interaktion mit Gesang und Tanz genutzt, um sich z.B. auf die Jagd vorzubereiten.

Angesichts dieses Wissens wäre es durchaus ratsam, das Verständnis über Trance- Prozesse in unserer Kultur zu erweitern. Entspannungstrancen können sehr wohltuend wirken, sind aber kein Allheilmittel.
Es gibt eine Vielzahl von anderen Erlebniszuständen, die mit einem Maß von mehr oder weniger intensiv ausgeprägter Spannung einhergehen.
Um hypnotherapeutisch zu arbeiten, können wir uns erlauben, Trance als zieldienliche Intervention zu sehen und die ganze Vielfalt gewünschter Erlebnismöglichkeiten zu nutzen.

Ein amerikanischer Wissenschaftler namens Beahrs hat sich in den 80er Jahren die Mühe gemacht, unterschiedliche Definitionen von Trance und Hypnose zu vergleichen, um Gemeinsamkeiten herauszufiltern. Er ist zu folgenden Ergebnissen gekommen:

  • In der Trance herrscht „unwillkürliches Erleben“ im Sinne von „es geschieht von selbst“ vor.
  • Bei der Induktion wird im Spektrum des Erlebens von willkürlicher Kontrolle zu mehr unwillkürlicher Selbststeuerung des Organismus übergeleitet.
  • Trance ist ein Zustand fokussierter Aufmerksamkeit für ein bestimmtes Erleben bzw. ein Zustand des Absorbiertseins von einem bestimmten Erleben. (Das wird im übrigen auch dem Erfinder des Wortes „Hypnose“, James Braid, gerecht, der 1842 den Namen „Monoideismus“ prägte.)
  • Subjektiv werden die Prozesse als „automatisch“ ablaufend wahrgenommen und können auch als „Flow – Erlebnisse“ bezeichnet werden.

Trance ist ein natürliches, alltägliches Phänomen.
Unwillkürliche Prozesse sind schneller, wirksamer, ökonomischer als bewusste Abläufe und ihnen in allen Belangen überlegen.
Das zeigt sich deutlich bei der Betrachtung von Symptomen:
die Kraft des willkürlichen Wollens hat meistens keine Chance gegen die unwillkürlichen Prozesse.

Symptome, unter denen ein Mensch leidet, sind geradezu dadurch charakterisiert, dass man sie auf bewusster, willkürlicher Ebene nicht steuern kann und dass sie sich auf unwillkürlicher Ebene machtvoll durchsetzen.
Viele Klienten nehmen ihr bewusstes „Ich“ als Opfer eines unwillkürlichen „Es“ wahr.
Verständlicherweise werden unwillkürliche Prozesse in Folge dessen als bedrohlich erlebt.
Es werden (Lösungs-) Versuche gestartet, das Bedrohliche zu bekämpfen.
Viele Aufträge in Therapie- und Beratungs- Kontexten beinhalten den Wunsch,
dass man gemeinsam (Therapeut/Berater und Klient) mit vereinten Kräften den gewünschten Sieg davon trägt.

Geht man als Therapeut/Berater auf solche Aufträge ein, lernt man sehr schnell die Macht des Unbewussten kennen. Meistens bewirken die bewussten Bekämpfungsversuche lediglich eine Verstärkung der Problemerlebens.

Steven Gilligan und Gunther Schmidt haben in den 90er Jahren den Begriff „Problemtrance“ oder „Symptomtrance“ kreiert, um zu verdeutlichen, dass Symptomprozesse ähnlich ablaufen wie Trance – Induktionen.
Wer ein Problem hat (oder wen ein Problem hat ?) weiß um die Hilflosigkeit, die entsteht, wenn man versucht, ein unwillkürliches Geschehen willkürlich zu verändern.

Prozesse, die außerhalb der bewussten Kontrolle ablaufen, zeigen sich der bewussten Wahrnehmung auf dem Wege der Unwillkürlichkeit.
Will man den Wert solcher Prozesse und der damit zusammenhängenden Signale verstehen,
so impliziert das auch einen wertschätzenden Umgang.
Und das würde bedeuten, dass der bewusste Verstand eine wertschätzende kooperative Haltung zur unbewussten/unwillkürlichen Seite entwickeln würde.

„Ich“ und „Es“ sind dann in einem kooperativen Miteinander.
Für den bewussten Verstand ist das eh das Beste, sonst würde er auf ziemlich verlorenem Posten dastehen:
die moderne Hirnforschung kann überzeugend nachweisen, dass praktisch jeder Entscheidungsprozess zunächst schon auf unbewusster Ebene insbesondere im Bereich des limbischen Systems vorentschieden ist, bevor er ins Bewusstsein dringt.

Das Primat des aufgeklärten, rationalen Denkens ist schlicht eine Illusion.

Auf das limbische System zu hören ist die klügste Verhaltensweise überhaupt.
Die Ebene des Verstandes und der Vernunft bildet sich in der Hirnentwicklung erst sehr spät aus und
erhält auch nie einen im wahrsten Sinne entscheidenden Einfluss auf das Verhalten.
Das limbische System benutzt sprichwörtlich den Verstand, um komplexe Situationen differenziert bewerten zu können,
gibt aber nie die Letztentscheidung ab.
Der die Entscheidungen fällende „Vorstand“ des Systems sitzt im limbischen System.
(Roth 2003)

Der Begriff des „Unbewussten“ ist sehr vage und macht nur Sinn in der Unterscheidung zum „Bewussten“ (sowie die Bezeichnung „Trance auch nur Sinn macht in der Unterscheidung zu dem Erleben, von dem es unterschieden werden soll, nämlich vom „Wachbewusstsein“).
Das Unbewusste erhält zusätzlich Bedeutung durch die Art der Konnotation:

In der Freud´schen Sicht ist das Unbewusste der Bereich für alles Triebhafte und Verdrängte. Logischerweise plädiert er für eine größtmögliche Bewusstmachung, so dass „Es“ bewusst gehandhabt und kontrolliert werden kann:

Wo ES war, soll ICH werden …

Ganz anders ist der Begriff des „Unbewussten“ bei Erickson konnotiert:
Das Unbewusste wird hier gesehen als der Bereich, der die Gesamtheit der Lernprozesse,
Ressourcen und persönlichen Kompetenzen beinhaltet.
„Wie eine liebevoll fürsorgliche Mutter“ steuert das „Unbewusste“ nicht nur alle
unwillkürlichen physiologischen Prozesse des Menschen, sondern auch die seelischen Prozesse und deren Wechselwirkung mit körperlichen Abläufen.

Auch wenn die unwillkürliche Seite (also dieses intuitive Wissen) sich oft für den bewussten Verstand auf eine eher befremdliche und unverständliche Weise ausdrückt, nämlich in Form von Bildern, Empfindungen, mehr oder weniger diffusen Gefühlen,
– eben in vorsprachlich sinnesspezifischer Weise (VAKOG) – wird hier für eine wertschätzende Kooperationsbeziehung zwischen dem bewussten Verstand und der intuitiven Seite geworben.

BEWUSSTSEINWillkürlich
Ich macheGewohnheitswirklichkeit
Willkürliches Denken
ICH
UNBEWUSSTESUnwillkürlich
Es geschiehtSitz der Kompetenzen/Potentiale/Ressourcen
Unwillkürliches Denken
ES, Intuition, Organismus

Für die konkrete Anwendung von Trance – Interventionen ergibt sich aus dem oben gesagten eine systemische Logik:

  • Eine optimale Trance entsteht durch eine optimale Beziehungsgestaltung.
  • Es geht um
    – eine kooperative Wertschätzung
    – ein sowohl als auch
    – eine Kommunikation auf der bewussten und auf der unbewussten Ebene.

Im therapeutischen Verständnis ist in Trance- Zuständen die Aufmerksamkeit meist nach innen gerichtet.
Für den Klienten bedeutet das ein ganz persönliches, sinnliches Erleben im Innern.
In unserer „linkshemisphärischen“ Kultur geschieht es häufig, dass Menschen den Kontakt zu ihrem Inneren Selbst verloren haben. Deshalb ist das Ziel von Trance-Arbeit, äußere Programmierungen bzw. bewusste Einstellungen und erlernte Gewohnheiten,
die blockierend gegenüber dem Unbewussten wirken, aufzulösen, damit sich die Botschaften des Unbewussten entfalten können.

Es geht darum,

  • die Dinge wie von selbst geschehen zu lassen
  • vom eigenen Inneren zu empfangen
  • Berührung mit dem inneren Selbst zu erleben
  • den Wert der einzigartigen inneren Erlebnisse zu erkennen
  • ein bislang unerkanntes Potential wirksam werden zu lassen, um dadurch intensiver und einfühlsamer lernen zu können.

Milton Erickson hat die Begrifflichkeiten TRANCE, UNBEWUSSTES und BEWUSSTSEIN
wie folgt in Zusammenhang gestellt:

Das Unbewusste ist ein Hersteller von Informationen.

Das Bewusstsein ist ein Verbraucher.
Trance ist ein Vermittler zwischen ihnen.