Die Bedeutung der Kommunikation

von Ralf Savelsberg

Indem Menschen miteinander Kommunizieren, stellen sie durch den Austausch von Informationen Beziehung her.

In menschlichen Beziehungen geht es darum, Freiräume für das Teilen und Entwickeln von Gedanken, Visionen und Gefühlen zu schaffen, in denen respektvolle und wertschätzende Begegnung und Erweiterung der persönlichen Horizonte stattfinden kann.

Das aus dem lateinischen stammende Wort communicare bedeutet:

teilen, mitteilen, teilnehmen lassen; gemeinsam machen, vereinigen.

Mit dieser ursprünglichen Bedeutung ist eine Handlung in einem sozialen System gemeint,

in dem Menschen miteinander interagieren. Wesentliche Aspekte dieser sozialen Handlung sind zum einen Anregung durch Signalsetzung und zum anderen Teilhabe. Aus beidem kann etwas Gemeinsames entstehen. (lateinisch communio: „Gemeinschaft“, communis: „gemeinsam“).

Ein soziales System setzt sich aus Personen zusammen, die durch eine spezifische Interaktion miteinander in Beziehung treten und auf diese Weise soziale Strukturen und Gruppen- Dynamik schaffen. Diese Dynamik in der Beziehungsgestaltung ist ein wichtiger Faktor bei der Entstehung von Persönlichkeit.

Je nach Qualität und Ausrichtung der Beziehungen und zirkulären Verknüpfungen entstehen aus dieser Dynamik positive oder negative Regelkreise, die das System entweder in sei­ner Wei­terentwicklung fördern oder behindern.

Wertehaltungen und Überzeugungen, die Menschen im Verlauf ihrer Sozialisation entwickeln, sind hierfür Gestaltungs- und Lenkungs- Mittel.

Lenkungsvorgänge sind Prozesse der Informationsaufnahme, -verar­bei­tung und -übermittlung.

Ein menschliches System ist jederzeit entwicklungsfähig: wenn es den beteiligten Personen gelingt,

  • ihre persönlichen Potentiale zu entwickeln, zu kommunizieren und für das Gemeinwesen (das System) nutzbringend zu realisieren
  • offen für die Haltungen anderer zu sein
  • flexibel mit den unterschiedlichen Standpunkten umzugehen
  • geschaffene bzw. bereits vorhandene Strukturen zu reflektieren
  • aktiv an der Entstehung eines gemeinsamen Lernfeldes mitzuwirken

Kein Mensch ist allein auf dieser Welt: Beziehungs,- Kommunikations,- und Verhaltensmuster haben in menschlichen Systemen eine ordnungsgebende Funktion. Andererseits werden dem einzelnen Mitglied durch die Strukturen, die sich entwickelt haben, Beziehungs,- Kommunikations,- und Verhaltensmuster „angeboten“, die unterstützend oder einschränkend wirken können.

Kommunikation ist also kein linearer Prozess, sondern Teil eines zirkulären Geschehens, das getragen ist durch die Wechselwirkung in Beziehungen.

Was wird nun eigentlich kommuniziert ? … allgemein geantwortet: das, was Menschen wahrnehmen:

  • die äußere Welt in Form von Personen, Dingen, Orten, Informationen, Ereignisse
  • die innere Welt in Form von Gedanken, Gefühlen, Vorstellungen, Erfahrungen

In Bezug auf die Wahrnehmung der äußeren Welt hat man früher geglaubt, Menschen könnten das, was sie im Außen beobachten, innerlich 1 zu 1 abbilden.

Jedoch ist diese Annahme, dass es eine objektive Art der Beobachtung und eine objektive Wirklichkeit gibt, wissenschaftlich nicht haltbar. Das wusste im Grunde schon der Grieche Epiktet, als er vor mehr als 2000 Jahren formulierte:

Erfahrung ist nicht das, was mit einem Menschen geschieht.
Sie ist das, was ein Mensch aus dem macht, was mit ihm geschieht, und wie er das Geschehene bewertet.

Gerhard Roth, ein namhafter Hirnforscher der Gegenwart formuliert neurobiologisch:

Die Sinnesorgane übersetzen die ungeheure Vielfalt der Welt in die ‘Einheitssprache’ der bioelektrischen Ereignisse. Bei diesem Übersetzungsprozess geht das “Original” verloren.

Die “Sprache” des Nervensystems selbst ist bedeutungsneutral.

Weil aber im Gehirn der signalverarbeitende und der bedeutungserzeugende Teil eins sind, können die Signale nur das bedeuten, was entsprechende Gehirnteile ihnen an Bedeutung zuweisen: Wahrnehmung ist Interpretation, ist Bedeutungszuweisung.

Gerade in sozialen Kontexten schafft die persönliche Bewertung und Bedeutungsgebung eine subjektive Wirklichkeit. Wahrnehmung ist also immer Ausdruck einer subjektiven Selbstkonstruktion oder anders ausgedrückt: Wahrnehmung ist das, was man als Beobachter auf ganz persönliche Weise als wahr annimmt.

Die Grundlage für Interpretation und Bewertung sind die biographischen Erfahrungen. Aus diesen Erfahrungen und deren Interpretation bilden sich innere Haltungen in Form von Denk- und Fühl- Mustern, Werten und Überzeugungen heraus, die wiederum die Grundlage für spätere Interpretationen bilden.

Was bedeutet das nun für Kommunikationsprozesse ?

Wenn ich das, was mich innerlich beschäftigt (meine Gedanken, Gefühle, Vorstellungen …) in Worte fasse, so geschieht das auf der Grundlage der in meinem Leben lerngeschichtlich geprägten Muster. Diese Muster beinhalten meine persönlichen Erfahrungen und wie ich diese Erfahrungen emotional und gedanklich ausgewertet und welche Handlungs- Konsequenzen ich daraus abgeleitet habe.

Wenn ich das in Worte fasse, was ich in der Außenwelt wahrnehme, formuliere ich meine persönliche Sichtweise, basierend auf meinen persönlichen Überzeugungen und Wertehaltungen.

Vor vielen Jahren hab ich zufällig im Fernseher eines der letzten Interviews mit Ruth Cohn (Psychoanalytikerin und Begründerin der Themenzentrierten Interaktion) gesehen. Sie wurde gefragt, was denn die Essenz aus ihrer jahrzehntelangen therapeutischen und gruppenpädagogischen Arbeit mit Menschen sei.

Frau Cohn überlegte einen Moment und antwortete dreigeteilt; sie sagte:

  • alle Menschen sind gleich … (wenn man über Jahrzehnte mit 1000en Klienten gearbeitet hat, stellt man fest, dass es ein Repertoire an menschlichen Themen gibt und dass diese Themen sich wiederholen)
  • alle Menschen sind verschieden … (obwohl sich die Themen und die Sozialisationsprozesse ähneln, unterscheiden sich die Ausprägungen und deren Konsequenzen auf sehr persönliche Weise)
  • alle Menschen sind gleich und verschieden zugleich

Es verbindet ungemein, auf einen Menschen zu treffen, der ähnliche Werte und Überzeugungen vertritt und mit dem man Erfahrungen teilen kann.

2 menschliche Grundbedürfnisse werden dadurch gleichzeitig erfüllt:
zum einen erzeugt der Gleichklang ein Gefühl der Zugehörigkeit,
und zum anderen kann man sich in seiner individuellen Art verstanden fühlen.

Doch mögen die Gemeinsamkeiten noch so groß sein (wir nutzen ja schließlich auch eine gemeinsame Sprache …), auch die Unterschiede liegen auf der Hand.

Nehmen wir als Beispiel die Begriffe „Freiheit“ und „Glück“. Jeder kennt die Worte, aber die Bedeutungszuweisung und die Assoziationen werden wohl sehr verschieden sein.

Somit bin ich bei einem weiteren wichtigen Merkmal von Kommunikation angekommen:

Unterschiedsbildung ist ein zentrales Werkzeug zum Bewerten und Interpretieren von Dingen, Ereignissen und Informationen. Unterschiede kontrastieren Gegensätze.

Im Spannungsfeld der Unterschiede entsteht ein Spektrum von Entwicklungs- Möglichkeiten, oder anders formuliert: im kommunikativen Austausch lernen wir voneinander, indem wir uns in den Gemeinsamkeiten bestärken, gemeinsame Ideen, Visionen und Handlungsmöglichkeiten entwickeln. Und wir lernen voneinander, indem wir, was die Unterschiede betrifft, uns gegenseitig respektvoll zuhören (wozu auch ein Unterbrechen gehören kann anstatt Interesse vorzutäuschen) und uns vom Gesprächspartner und von seinen Gedanken und Sichtweisen inspirieren lassen. So kann in der Kommunikation ein einfühlsames Geben und Nehmen entstehen. Und der Kommunikationsprozess kann gleichermaßen genutzt werden, um sich in Authentizität (einem ehrlichen und klaren Ausdruck), Respekt und Mitgefühl zu üben.

In hierarchischen Gesellschaften kann man oft eine Art der Kommunikation beobachten, die

  • Eigenverantwortung leugnet
  • auf Fehlverhalten der Anderen fokussiert
  • moralisch urteilt und Vorwürfe macht
  • das eigene Denken für unumstößlich wahr und allgemeingültig hält.

Eine mehr lebensfördernde und respektvolle Art der Kommunikation ist getragen von persönlicher Präsenz und Verantwortungsbewusstsein und achtet die Werte, Gefühle und Bedürfnisse der Anderen.

Die bewusste Wahrnehmung des ICH und des DU ist eine wichtige Voraussetzung.

Jeder hat seinen Freiraum, den er/sie nutzen kann, den eigenen Impulsen zu folgen, das mitzuteilen, was gerade beschäftigt oder innerlich in Arbeit ist.

Aus dem Austausch über ein THEMA kann etwas Verbindendes, ein WIR entstehen.

Und all das (ICH, DU, WIR und das THEMA) ist eingebettet in das Wissen, dass wir alle Teil eines größeren Ganzen, einer WELT sind, zu deren Gelingen oder Scheitern wir beitragen können.

Und es lohnt sich, über all diese Aspekte zu sprechen, sich auszutauschen und sich zu vernetzen.

Denn ein Text ohne einen Leser hat keine Bedeutung; erst die Beziehung zwischen einem Text und seinen Lesern lässt Bedeutung entstehen.